Ankatrins Erinnerungen – Kapitel 02 – wirhabendiewahl.net

Ankatrins Erinnerungen – Kapitel 02

Diese Geschichte ist real. Wir haben die wundervolle Erlaubnis bekommen, die Erinnerungen einer guten Freundin veröffentlichen zu dürfen. Ein ganz, ganz lieber Dank und Gruß gehen an Ankatrin! (Text: Ankatrin G., Lektorat: Gaby K., Sandra S., Bilder: #WirHabenDieWahl).

Kapitel

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Kapitel 2 – Hausbesetzungen

Die nächsten Tage waren geprägt durch die unmittelbare Nähe der fremden Soldaten und die Beschlagnahme von Villen in unserer Straße.

Wir wohnten in der Bahnhofstraße, an deren Ende sich logischerweise der Bahnhof befand. Dieser Bahnhof hatte auch schon während des Krieges eine gewisse Rolle gespielt und natürlich war er auch für unsere Besatzer, wie wir sie damals nannten (der Ausdruck Befreier ist eine Erfindung der darauffolgenden Jahre), von einer gewissen Bedeutung.

Was lag näher, als dass die Villen für die Offiziere beschlagnahmt und von ihnen besetzt wurden. Die Bewohner der Häuser wurden auf die Dachböden der weniger attraktiven Häuser verteilt.

Zu unserer Überraschung wurde das Haus, in dem wir all die Jahre bei einer Familie Peters gewohnt hatten, nicht beschlagnahmt. Ein höherer Offizier hatte an der Haustür geklingelt, die Papiere zur Beschlagnahme vorgezeigt und versucht, den Besitzern des Hauses die Beschlagnahme klarzumachen. Plötzlich hörten wir unseren Hauswirt – ein für mich damals unvorstellbar alter, aber lieber Mann – in für unsere Ohren bestem Englisch mit dem Offizier diskutieren. Wir waren erschrocken und ängstlich, was jetzt wohl passieren würde. Mit den Besatzern diskutierte man doch nicht!

Wir standen oben und glaubten, den Atem anhalten zu müssen. Dann hörten wir, wie Herr Peters in ein Zimmer ging, wiederkam und das Wort “Please”.

Stille – es schien ewig zu dauern, ehe man wieder eine Stimme vernahm. Es war die Stimme des Offiziers. Meine Mutter erzählte uns später, was der Offizier gesagt hatte: “I beg your pardon, Mylord.” – und verließ das Haus. Da hatten wir jahrelang im Haus eines gebürtigen, wahrscheinlich sogar adeligen Engländers gewohnt und nichts davon geahnt. So kam es, dass unser Haus nicht beschlagnahmt wurde, dafür aber vollgestopft war mit Flüchtlingen – und das mit nur einer Toilette im Haus. Dennoch, wir waren “Lord Henry”, wie er künftig nur noch von uns genannt wurde, dankbar.

Es kamen immer weitere Flüchtlingsströme hinzu. Weitere Flüchtlingslager. Die Flüchtlingsschiffe auf der Trave mit den Flüchtlingen aus Danzig und Ostpreußen. Es herrschten unglaubliche hygienische Verhältnisse und dann war plötzlich Sommer – ein sehr heißer Sommer! Und mit dem Sommer kam der Typhus.

Alle meine Freundinnen, die auf dem Dachboden eines schräg gegenüberliegenden Hauses untergebracht waren, in Liegestühlen schliefen und nur wenig Wasser für die Hygiene hatten, erkrankten. Ich besuchte sie täglich und spielte mit ihnen, bis sie ins Krankenhaus kamen. Als sie wieder nach Hause durften, mussten einige von ihnen wieder laufen lernen, so geschwächt kamen sie zurück. Aber sie hatten Glück gehabt: sie lebten! Viele starben damals an Typhus. Ich blieb wie durch ein Wunder verschont. Auch aus meiner Familie erkrankte niemand.

Uns gegenüber stand eine weiße Villa, die einer schwedischen Dame gehörte. Aber auch diese Villa war beschlagnahmt worden. Es hatte der Besitzerin nichts genützt, dass sie die schwedische Fahne über den Balkon im ersten Stock gehängt hatte, alle mussten raus. In dieser Villa bezog ein englischer Offizier Quartier. Sein Name war Bob, wir Kinder durften ihn Onkel Bob nennen. Er liebte die Kinder und war sehr bemüht, zu ihnen Kontakt aufzunehmen, was ihm bei den meisten auch gelang. Nur bei mir nicht!

Onkel Bob versuchte es mit Schokolade, mit Freundlichkeiten aller Art, es half ihm nichts. Ich versuchte, ihn mit Blicken zu strafen, die ich für verachtend hielt. Weiss Gott, was sie waren, aber ich war absolut stur, unzugänglich und zornig. Ich gab ihm die Schuld für alles.

Dabei war Onkel Bob wirklich rührend um das Wohl der Kinder bemüht: er gab den Garten für die anwohnenden Familien frei, teilte ihnen kleine Parzellen zu, damit die Mütter ein wenig frisches Gemüse für ihre Kinder anpflanzen konnten. Wir taten mit unserem Garten dasselbe, es gab Kartoffeln, grüne Bohnen, Tomaten, Kopfsalat, Kerbel und was-weiß-ich-nicht-alles. Dennoch – es reichte nicht.

* * * * *

Das war Kapitel 2

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© Copyright by ABGrundke seit 2017. Jede Verteilung, Vervielfältigung und gewerbliche Nutzung ist untersagt und muss von der Autorin ausdrücklich genehmigt werden. Erstveröffentlichung 2017 via Gaby Konradt und Kassandra von Troya ("Hand in Hand zur Menschlichkeit"). Zweite Fassung und Gestaltung 2021 #wirhabendiewahl

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