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Ankatrins Erinnerungen – Kapitel 14

Diese Geschichte ist real. Wir haben die wundervolle Erlaubnis bekommen, die Erinnerungen einer guten Freundin veröffentlichen zu dürfen. Ein ganz, ganz lieber Dank und Gruß gehen an Ankatrin! (Text: Ankatrin G., Lektorat: Gaby K., Sandra S., Bilder: #WirHabenDieWahl).

Kapitel

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Erneute Einschulung – nach einem Jahr Pause

Die hier geschilderten Zustände hielten noch an, als wir im Frühjahr ´46 wieder zur Schule durften. Die erneute Einschulung war für mich irgendwie demütigend. Schließlich hatten wir ein Jahr lang privat Unterricht genossen und da ich bereits mit fünf Jahren lesen und schreiben konnte, empfand ich es als entwürdigend, mich mit acht Jahren wieder in der ersten Klasse zu befinden. Die Lehrer hatten zwar empfohlen, mich versuchsweise in die dritte Klasse gehen zu lassen, aber meine Mutter hatte abgelehnt, da mein Vater (er war Lehrer) von jeher “Springer” abgelehnt hatte.

Nun war ich allerdings nicht das einzige achtjährige kleine Mädchen in der Klasse. Wir hatten ja alle ein Jahr lang keine Schule gehabt und so mussten viele von uns wieder ganz von vorne anfangen. Ärgerlich war es dennoch, dass auch Sechsjährige die gleiche Chance hatten wie wir. Aber bei einer Klassengröße von 46 Schülern hat man bald ganz andere Probleme.

Brauchte ich auch jetzt keine Extra-Bank mehr (als ich ´44 eingeschult wurde, hatte der Hausmeister extra eine Bank für mich präparieren müssen, da die normalen Bänke für mich zu groß gewesen waren), weil ich ja im letzten Jahr gewachsen war, so hatte ich dennoch das Problem, mit meinen acht Jahren an die Freundinnen heranzukommen, die gleich alt waren. Alle hielten mich aufgrund meiner Winzigkeit für weit jünger.

Hinzu kam noch, dass ich zu meinem großen Ärger statt in der letzten in der vorderen Bankreihe sitzen musste. Die Bedeutung dieser “Erniedrigung” wird klar, wenn man weiß, dass wir damals nach Leistung in der Klasse platziert wurden. Die Beste saß nun mal in der hintersten Bank rechts. Ich war Klassenbeste und musste auf dem Platz der Schwächsten sitzen. Das hat mich ziemlich deprimiert und weit mehr beschäftigt als Lehrer und Eltern das vermuten konnten.

Nach einiger Zeit hatte ich aber doch neue Freundinnen in der Klasse gefunden. Besonders gern und schnell freundete ich mich mit den Mädchen an, die aus den ärmsten Notquartieren stammten. Meine Mutter muss es wohl geschafft haben, dass ich die Wichtigkeit der Integration – natürlich kannte ich weder dieses Wort noch dessen Bedeutung – begriffen hatte. Und ich hatte noch etwas anderes begriffen: Dass nämlich teilen in dieser Zeit ein wichtiger Bestandteil des täglichen Lebens war.

Eines Tages – es waren schon die ersten warmen Tage – kam eine meiner Klassenkameradinnen mit nur einem Hemdchen und Höschen bekleidet in die Schule. Kinder sind grausam und so wurde Hildegard natürlich reichlich verspottet.

Das war der Tag, an dem ich ohne Kleid von der Schule wieder nach Hause kam.

Meine Mutter starrte mich an und fragte: “Hast Du Dein Kleid in der Turnhalle vergessen? Oder hast Du es im Schulranzen? Aber ganz so warm ist es doch noch gar nicht. Du wirst Dich noch erkälten!”

Ich schüttelte den Kopf: “Ich hab das Kleid an Hildegard verschenkt.”

“Du hast was? Bist Du denn ganz und gar verrückt geworden, weißt Du denn nicht, wie schwer es für mich ist, Euch überhaupt einzukleiden?”

Meine Mutter war ganz offensichtlich böse. Es war auch für meine Mutter schwer, uns Kinder einzukleiden. Das verschenkte Kleid war aus einem Bettbezug gemacht worden, wie ein anderes aus Lavabel-Vorhängen, ein Mantel und eine Hose aus einer Militärwolldecke usw., usw.

Ich schluckte, bekam Angst, etwas falsch gemacht zu haben und sagte: “Aber Du hast doch gesagt: solange ich noch ein Kleid zum Wechseln habe…” weiter kam ich nicht. Meine Mutter hatte begriffen, daß nicht nur ihre Äußerung, sondern auch ihr Vorbild Früchte getragen hatte. Sie hatte hier zwar nicht mitbestimmt, aber sie hatte eine kleine Tochter, die selbständig entschieden hatte, auf ein Kleid zu verzichten. Meine Mutter nahm mich in den Arm.

“Du hast recht, Kind. Wir haben immer noch etwas zum Wechseln. Aber bitte, frag mich das nächste Mal.”

* * * * *

Das war Kapitel 14

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© Copyright by ABGrundke seit 2017. Jede Verteilung, Vervielfältigung und gewerbliche Nutzung ist untersagt und muss von der Autorin ausdrücklich genehmigt werden. Erstveröffentlichung 2017 via Gaby Konradt und Kassandra von Troya ("Hand in Hand zur Menschlichkeit"). Zweite Fassung und Gestaltung 2021 #wirhabendiewahl

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