Ankatrins Erinnerungen – Kapitel 10
Diese Geschichte ist real. Wir haben die wundervolle Erlaubnis bekommen, die Erinnerungen einer guten Freundin veröffentlichen zu dürfen. Ein ganz, ganz lieber Dank und Gruß gehen an Ankatrin! (Text: Ankatrin G., Lektorat: Gaby K., Sandra S., Bilder: #WirHabenDieWahl).
Kapitel
Sicherung von Wertgegenständen
Nach dem 8. Mai 1945 waren nicht nur die Häuser in unserer Straße besetzt worden. Überall da, wo es sich angenehm wohnen ließ, wurden Häuser beschlagnahmt und die Bewohner ausquartiert.
Wir hatten den Winter ´44/45 bei meiner Tante in der Mansardenwohnung verbracht. Jetzt wohnte meine Tante bei uns, denn auch ihr Haus war beschlagnahmt worden. Sie hatte nichts außer einen Teil ihrer Kleidung mitnehmen dürfen.
Es mag eigenartig klingen, dass man in einer solchen Zeit, in der so viele Menschen mit nichts außer dem Leben davongekommen waren, um solche Dinge fürchtete wie den Verlust von Wertgegenständen, Erinnerungsstücken oder ähnlichem.
Heute erscheint mir das ganz unverständlich, aber das ändert nichts an der Tatsache, dass wir uns Gedanken darüber machten, ob meine Tante ihr Silber und was sie sonst noch so in ihrer Wohnung zurückgelassen hatte, jemals wiedersehen würde – zumal wir sehr gut beobachten konnten, wie aus den Häusern sogar Teppiche auf Nimmerwiedersehen abtransportiert wurden. Ich bin mir gar nicht sicher, ob diese Art der Plünderung überhaupt erlaubt war, aber diese Dinge kamen nun einmal vor und letztendlich hat es schon immer so etwas wie Kriegsbeute gegeben.
Eines Tages schnappte ich mir die größte Einkaufstasche, die meine Mutter besaß, und verkündete, dass ich zu dem Haus meiner Tante gehen werde, um ihr Silber herauszuholen. Natürlich wollten mich meine Mutter und meine Tante nicht gehen lassen. Sie hatten Angst, mir könne etwas passieren.
Meine Mutter war es schließlich, die mir dennoch erlaubte, mich mit der Riesentasche – sie war eben riesig im Vergleich zu meiner Kleinwüchsigkeit – auf den Weg zu machen. Sie glaubte nicht nur, dass die Engländer mir nichts tun würden, sie war auch der Meinung, dass man ein Kind kaum ernst nehmen und des Diebstahls bezichtigen würde. Denn es war nun einmal damals Diebstahl, wenn man die beschlagnahmten Gegenstände aus der eigenen Wohnung entfernte.
“Was kann schon passieren? Schlimmstenfalls lassen sie sie gar nicht in die Straße. Bestenfalls bringt sie tatsächlich einige Sachen heraus.”
Also marschierte ich zu der Straße, in dem das Haus meiner Tante stand.
Am Straßeneingang war ein Schlagbaum. Ein Wachsoldat sorgte dafür, dass kein Deutscher sich Zutritt zu der Straße oder den Häusern verschaffte. Ich weiß, es klingt unglaubwürdig, aber ich schaffte es mal wieder, dennoch zum Haus meiner Tante und in ihre Wohnung zu gelangen. Ich erzählte den Engländern, dass ich für meine Tante Wäsche holen wolle.
“Erzählen” ist hier vielleicht doch nicht das richtige Wort, da ich ja nur ein paar Brocken Englisch konnte und die Engländer umgekehrt auch kein Deutsch. Aber wozu hat man Hände und Füße, die man zur Unterstützung von einem Kauderwelsch aus Englisch und Deutsch einsetzen kann. Jedenfalls hatten die Engländer verstanden, dass ich ein paar sehr persönliche Dinge aus der Wohnung holen wollte, und sie erlaubten es.
Bevor ich jedoch Zugang zu den Wohnräumen meiner Tante bekam, musste ich die Engländer zu unserem kleinen Stall, in dem wir Gartengeräte und Holz für die Öfen aufbewahrten, begleiten. An der Rückwand des Stalles war eine ca. 30×30 cm Christophorus-Figur aus Gips angebracht.
Ich habe keine Ahnung, ob meine Großeltern diese Plastik da anbringen ließen, oder ob sie schon vorhanden war, als sie das Haus nach dem ersten Weltkrieg gekauft hatten. Jedenfalls zeigten mir die Soldaten die Figur und fragten mich: “Hitler?”
Ich war sprachlos und muß sie wohl mit offenem Mund angestarrt habe, bevor ich ganz langsam den Kopf schüttelte. Aber da war es schon passiert: Alle Soldaten standen da und urinierten gegen die Christophorusfigur. Ich weiß noch, wie entsetzt ich war, aber gleichzeitig furchtbar lachen mußte.
Natürlich durfte ich den Soldaten nicht zeigen, wie lächerlich ich das Ganze fand, und so lief ich zur Haustür und hinauf in die Wohnung meiner Tante. Das gab mir einen kleinen Zeitvorsprung und ruckzuck hatte ich die Schublade mit dem Silber geöffnet und die Bestecke in meiner Tasche verstaut. Daraufhin lief ich zum Kleiderschrank und packte an Wäsche alles ein, was noch hineinging und als die Engländer kamen, um zu sehen, was ich da machte, sahen sie ein kleines Mädchen, das emsig Wäschestücke einpackte.
Die Tasche muss ungeheuer schwer für so ein kleines Mädchen gewesen sein. An das Gewicht kann ich mich beim besten Willen nicht mehr erinnern. Ich weiß nur noch, dass ich mir große Mühe gab, so zu tun, als wäre kaum Gewicht in der Tasche. Da ich ja ohnehin so klein war, wunderte sich wohl auch niemand darüber, dass ich an einer prallvollen Tasche so schwer zu tragen hatte. War ich froh, als ich den Schlagbaum wieder hinter mich gelassen hatte und mit meiner “Beute” aus der Gefahrenzone heraus war!
Wie ich damit nach Hause gekommen bin, erinnere ich nicht mehr. Ich sehe nur noch die Freude im Gesicht meiner Tante vor mir.
Genau in dieser Zeit war es auch, als die “Besatzer” Jagd auf versteckte und vergrabene Wertgegenstände in den Gärten machten. Eines Tages saß Herr B. aus Berlin an unserer Küchenbalkontür. Plötzlich wurde er kreidebleich und äußerst nervös. Meine Mutter fragte ihn:
“Ist Ihnen nicht gut?”
“Nein, nein,” antwortete er, “es ist alles in Ordnung!”
“Aber Sie sehen ganz käsig aus. Sie müssen doch etwas haben.” – Meine Mutter ließ nicht locker.
Daraufhin machte er eine hilflose Kopfbewegung in Richtung Garten und dann schauten wir alle so weit vom Fenster entfernt wie nur irgend möglich hinaus. Und da sahen wir sie: zwei Soldaten mit langen Sonden, die sie in den Boden steckten.
“Was machen die da?” wollte meine Mutter wissen.
“Sie sondieren den Garten nach vergrabenen Gegenständen,” war die Antwort.
Jetzt wurde auch meine Mutter blass. Was wir Kinder nicht wussten: Meine Mutter hatte unter einem dichten Strauch so einiges vergraben – unsere Hausmitbewohner übrigens auch. Sie hauchte so etwas wie “Oh, Gott !”
Meine Mutter befiel selten Panik in dieser Zeit. Sie war viel zu sehr damit beschäftigt, dass wir überlebten und nicht verhungerten, als dass sie sich so leicht hätte aus der Ruhe bringen lassen. Aber die Tatsache, dass die Engländer unseren Garten durchsuchten und dabei etwas finden könnten, das machte ihr doch Angst, denn es war absolut verboten, Wertgegenstände in Sicherheit zu bringen. Aber irgendwie muss das Gebüsch, unter dem tatsächlich so einiges vergraben war, so dicht und unberührt gewirkt haben, dass die Engländer diese Ecke gar nicht erst untersuchten. Als die zwei Soldaten den Garten endlich wieder verlassen hatten, kam meine Mutter so langsam wieder zu sich.
“Sagen Sie mal, Herr B., warum sind Sie denn so blass geworden? Sie wussten doch gar nichts von unserem vergrabenen Silber!”
“Nein, davon wusste ich wirklich nichts, aber ich habe Sie alle in ernsthafte Gefahr gebracht. Ich habe nämlich vor einigen Wochen nachts die automatische Mauserpistole dort bei dem Baum vergraben und da waren die Engländer ganz dicht dran. Sie hätten sie beinahe gefunden.”
Ach, du liebe Güte! Waffenbesitz! Kein Mensch kann sich vorstellen, was das unter Umständen bedeutet hätte.
Wespe – so wurde die junge Frau genannt, die sich in Begleitung der beiden Herren von ARADO (ich berichtete schon davon) befand – wurde ziemlich wütend und schnauzte die beiden Männer an: “Verdammt noch mal! Ihr geht jetzt beide und vernichtet Eure Erfindungen und verstreut sie so, dass niemand sich einen Reim daraus machen kann. Was müsst ihr auch das Zeug mit rumschleppen. Habt Ihr denn die Pläne nicht im Kopf? Also weg mit dem Zeug, bevor noch etwas passiert.”
Nun ja, die beiden haben dann die Mauser und das Radargerät in tausend Teile zerlegt und irgendwann im Wald hinter unserem Haus so verteilt, dass bestimmt niemand mit irgendeinem der Teile hätte etwas anfangen oder Rückschlüsse daraus ziehen können.
* * * * *
Das war Kapitel 10
© Copyright by ABGrundke seit 2017. Jede Verteilung, Vervielfältigung und gewerbliche Nutzung ist untersagt und muss von der Autorin ausdrücklich genehmigt werden. Erstveröffentlichung 2017 via Gaby Konradt und Kassandra von Troya ("Hand in Hand zur Menschlichkeit"). Zweite Fassung und Gestaltung 2021 #wirhabendiewahl
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