Einer kämpft, der Rest schaut zu. – wirhabendiewahl.net

Einer kämpft, der Rest schaut zu.

#niewieder

Neulich fanden wir dieses Bild aus einem Münchner Museum im Internet, mit einem Text von Ava Zelâl:

“Auf dem Bild ist ein glatzköpfiger, barfüßiger Mann mit Nickelbrille zu sehen, den bewaffnete SA-Leute durch die Straße treiben. Man hat ihm Schuhe und Socken ausgezogen und die Hosen oberhalb des Knies abgeschnitten. Darunter trägt er eine lange weiße Unterhose und um den Hals ein Schild, auf dem steht, dass er sich nie mehr bei der Polizei beschweren werde. Münchner fahren auf Fahrrädern an ihm vorbei. Sie schauen den Mann an, der trotz der Demütigungen erhobenen Kopfes zwischen den Nazi-Schergen läuft. Sein Blick ist auf ein fernes Ziel gerichtet. Keiner der Radfahrer hält an, niemand hilft ihm.

Für die meisten ist das Foto heute eine Allegorie, die für den nationalsozialistischen Terror gegen Menschen steht, die sich nicht mit den alltäglichen Schikanen abfinden wollten, denen so viele ihrer Mitbürger ausgesetzt waren.

Doch hinter der Aufnahme, die nun zu einem Leitbild in dem geplanten Münchner NS-Dokumentationszentrum werden soll, steckt mehr als nur eine einzige Geschichte:

Einer kämpft, der Rest schaut zu.

Das historische Schicksal, das auf dem Foto festgehalten wird, ist das Schicksal von Michael Siegel, einem jüdischen Rechtsanwalt, der auch an diesem Märztag im Jahr 1933, tat, was nicht nur seines Berufs wegen zu seinem Ethos gehörte: Er trat für das Recht eines seiner Mandanten ein, Max Uhlfelder, der am Tag zuvor als jüdischer Geschäftsmann unter dem Vorwand der “Schutzhaft” in das Konzentrationslager Dachau transportiert worden war.

Ohne Schuhe und mit abgeschnittenen Hosenbeinen trieben SA-Leute Michael Siegel am 10. März 1933 durch München.

Siegel vereinbarte im Polizeipräsidium in der Ettstraße einen Termin, um Uhlfelders Freilassung zu fordern. Als er dort ankam, wurde er in einen Kellerraum gebeten, wo ihn eine Gruppe uniformierter SA-Leute brutal zusammenschlug. Mit den Stiefeln traten sie ihm die Vorderzähne ein, in einem Ohr platzte Siegels Trommelfell. Anschließend zerschnitt man seine Hosen und ließ ihn das Schild beschriften, mit dem er später barfuß und blutend von der Ettstraße bis zum Hauptbahnhof durch die Innenstadt Münchens marschieren musste.

Am Stachus entstand ein zweites Foto mitten im Verkehr, zwischen Trambahn und Autos, das deutlicher noch als das andere, den Stechschritt illustriert, der Siegel von den SA-Männern aufgezwungen wurde. Das ganze Bild scheint in einer Drehbewegung zu sein. Fast meint man die knallenden Stiefel der Nazis zu hören, die mit ausladenden Schritten und grimmig entschlossenen Gesichtern den misshandelten Rechtsanwalt in ihre Mitte genommen haben. Wieder sind unbeteiligte Zuschauer zu erkennen. Ein Mann hat seine Hände in die Hosentaschen gesteckt, ein anderer hastet im Bildhintergrund vorüber, als würde er die Menschenjagd neben sich nicht einmal bemerken.”

Mehr zur Person Michael Siegel:
de.wikipedia.org/wiki/Michael_Siegel

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